Eine Fahrt in einem Luftschiff aus Metall 1897. Ein Bericht | Ad Fontes

Geschätzte Lesedauer: ca. 11 min

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Hallo, kurz etwas zu diesem Format. Bei „Ad Fontes“ schaue ich mir eine historische Quelle direkt an, stelle sie kurz vor und präsentiere sie euch dann. Dann könnt ihr euch selbst Gedanken darüber machen.

In dieser Folge geht es um folgende Quelle:

Jagels, Ernst, Bericht.

Entnommen: Berg, Carl, David Schwarz – Carl Berg – Graf Zeppelin, München 1926, S. 28-33.

Die Quelle

Bericht. Ernst Jagels

Von Frau Melanie Schwarz wurde ich Anfang Oktober 1897 engagiert, um das Luftschiff zur Demonstration fertig zu machen, es unter meiner Leitung und mit Unterstützung der Kgl. Luftschifferabteilung mit Wasserstoffgas zu füllen, mit dem Luftschiffe aufzusteigen und zu demonstrieren.

Nachdem ich die verschiedenen undichten Stellen an dem Körper des Schiffes dicht gemacht, die Vergasung des Motors unter die Gondel geleitet und die Ausrücker der Riemen, um solche leichter ein- und ausrücken zu können, versetzt, die Mündungen der Benzinbrenner am Motor zur Verhinderung von Gasexplosionen und Absperrung gegen Verstopfung der Brenner durch Metallgase gesichert hatte, konnte die Gas-füllung am 2. November 1897 vorgenommen werden.

Mit der Füllung wurde um etwa 10 Uhr morgens begonnen: dazu wurden 14 obere Füllsäcke in den Ballon eingehängt und 4 untere Längssäcke

Mit 12 Füllwagen der Kgl. Luftschifferabteilung wurden zu gleicher Zeit 14 obere Füllsäcke gefüllt; danach die 4 unteren. Ohne Pausen gerechnet war die ganze Füllung der Säcke in 2 Stunden 40 Minuten vollendet.

Da das Gas leichter in den Säcken als in dem Ballon rein zu halten ist und wegen der vorgerückten Jahreszeit der Aufstieg erst am nächsten Tag stattfinden sollte, so blieb das Luftschiff in dieser Verfassung bis zum nächsten Tage stehen, mit geschlossenem Ventil. Am 3. November 1897 von 8 Uhr ab wurden die Füllsäcke, welche in der Zwischenzeit etwas an Gas verloren hatten, einzeln nachgefüllt, alsdann der Zwischenraum zwischen den Säcken und dem Aluminiumballon durch direktes Hineinblasen von Gas in den Ballon selbst durchgespült.

Dann wurden die Säcke aufgerissen und zwar einer nach dem andern und ebenso von der Spitze angefangen nacheinander in der Weise herausgenommen, daß erst von der Spitze drei Säcke, dann von hinten zwei Säcke, dann abwechselnd einer von vorne und einer von hinten entfernt wurden. Inzwischen wurde immer Gas nachgespült, damit der Ballon nicht atmosphärische Luft einsaugen sollte. Die jedesmaligen betreffenden Mannlöcher wurden immer wieder sofort verschlossen bis auf eines, in welches das atmosphärische Sicherheitsventil hineingesetzt wurde, natürlich geschlossen.

Um etwa 12 Uhr mittags war auch diese Arbeit vollendet. Nun wurde durch das atmosphärische Ventil das jetzt im Aluminiumballon befindliche Gas gemessen und ein Kilo pro Kubikmeter Tragkraft durch den Herrn Premierleutnant von Sigsfeld konstatiert.

Als angefangen wurde, die Säcke herauszunehmen, hob sich der Ballon schon etwas von seinen Seitenstützen und wurde nun mittels an Seilen befestigter Sandsäcke ringsum belastet.

Nachdem also der Ballon fertig gefüllt war, wurden sämtliche Seilenstützen und das vordere Füllgerüst entfernt. Um 2 ½ Uhr nachmitags war das Luftschiff zum Ausfahren fertig.

Um 3 Uhr wurde dasselbe durch Mannschaften der Kgl. Luftschifferabteilung, welche die Seitenseile hielten, aus dem Schuppen hinausgeführt; es trug sich selbst und wurde von den Mannschaften niedergehalten.

Ich versuchte zunächst den unteren Propeller unterhalb der Gondel zu befestigen. Da dieser Propeller aber nur zum Auftrieb diente und ich genug Auftrieb hatte, so meinte ich ihn fortlassen zu können. Ich nahm nun noch 13 Sandsäcke, zusammen vielleicht 270 kg, ein.

Wahrend das Luftschiff dann von den Militärmannschaften hinten, vorne und zu beiden Seiten an Stricken etwa 2 m vom Boden der Gondel gerechnet, über der Erde gehalten wurde, heizte ich den Motor an.

Während dieser Zeit wurde das Luftschiff von dem mit etwa 7,5 m per Sekunde und mehr nahendem Ostwind erfaßt und mit der mit dem Ballon starrverbundenen Gondel erst etwas gehoben und niedergestaucht und zwar mit einem ziemlich starken Stoß. Wunderbarer Weise hielt das Luftschiff diesen Stoß ohne jede Beschädigung aus und erhob sich wieder auf die vorherige Höhe.

Ich ließ nun die zwei Seiten und den einen hinteren Flügel laufen und das Schiff strebte vorwärts gegen den Wind. Die Mannschaften seitlich links und rechts ließen die Leinen fahren — die Mannschaften, welche die 100 m lange Leine hinten hielten, ließen diese nach — die Mannschaften, welche die 250 m lange Leine vorne hielten und auf welche der Ballon zufuhr, mußten die Leine schleifen lassen. Als nun das Luftschiff etwa 100 m hoch gekommen war, da fiel mir der linke Propellerriemen herunter — der Wind faßte den Ballon, der von der rechten Propellerschraube nach links herum, also nach Norden, gewendet wurde, von der rechten Seite und die lange Leine vorne riß entzwei.

Rapide stieg nun der Ballon bis auf 300—400 Meter in die Lüfte und der Wind trieb mich nach Schöneberg (Westen) ab. Ungefähr noch über der Kaserne des 2, Eisenbahn-Regiments, als ich meine Situation genau überschaute, stellte ich die hintere Propellerschraube so ein, dass das Luftschiff, welches ich vermittels der rechten Flügelschraube mit der Spitze wieder gen Osten gelenkt hatte, von neuem anfing, gegen Osten gegen den Wind anzugehen.

In diesem Moment fiel der Riemen auch von der rechten Propellerscheibe herunter.

Als ich, wie vorerwähnt, hier gegen den Wind das Luftschiff umgelenkt hatte, sah ich auf den mitgeführten Windmesser und ersah genau, daß die Windstärke 14 Meter per Sekunde war; der Höhenmesser zeigte 460 Meter Höhe.

Das so steuerlos gewordene Schiff wurde nun vom Winde mit der Spitze nach Süden herumgedreht und stieg immer höher in die Wolken.

Ich sah ein, daß ich mit diesem Schiff nicht weiter demonstrieren konnte, beschloß möglichst nahe an der Luftschifferabteilung zu landen und zog ungefähr eine halbe Minute lang das obere Ventil. Unter mir sah ich nun den Wilmersdorfer See, ich schnitt drei Sandsäcke ab, hielt mich etwa 50 m über dem Gewässer, kam darüber hinweg, sah mich nach Menschen um, sah solche auf den Ballon zulaufen, glitt in der Höhe von etwa 50 m etwa 300 m fort und zog von neuem das Ventil.

Nun stieß das Luftschiff mit der Gondel auf Ackerfeld etwas auf. Ich wollte schon hinausspringen, da aber hatte ich die Empfindung, daß mir, zumal der Aufstoß den Ballon nicht beschädigt hatte, nichts passieren würde und blieb in der Gondel. In demselben Moment erhob sich das Schiff auch wieder etwa 2 m und glitt etwa 5 m weiter, dann erfolgte ein zweiter sehr starker Anstoß. Auch dieser beschädigte das Schiff nicht, welches sich wiederum ungefähr einen Meter hoch erhob, um etwa 2—3 m weiter mit der Gondel an eine vorliegende Anhöhe anzustoßen. Vor diesem Anstoß sprang ich aus der Gondel zur Erde nieder, der Ballon legte sich etwas auf die linke Seite, der linke Propeller drückte sich in den Schiffskörper, die Verbindungsstangen der Gondel drückten sich in das vom Winde noch immer hin- und hergeworfene Luftschiff — alles ging furchtbar schnell und ich wurde noch etwas von der Gondel übergeschleift.

Das Luftschiff war so zertrümmert, daß es nicht mehr reparaturfähig war. Ich habe die felsenfeste Überzeugung, daß, wenn mir die Riemen nicht von den Propellern geflogen bzw. gefallen wären, ich mit dem Schiffe, so wie es war, gegen den an diesem Tage wehenden Wind ganz sicher hätte anfahren und ihn überwinden können, ebenso daß ich in jeder Richtung hätte lenken und fahren können. Ich bin der festen Meinung, daß die durch die mit etwa 480 Umdrehungen arbeitende Maschine heftig bewegten und sich aneinanderschlagenden Riemen durch den heftigen Wind von den Propellerscheiben geschleudert worden sind.

Schöneberg, den 6. 11. 1897.

gez, Ernst Jagels.

Meine spontanen Gedanken zur Quelle

So. Ohne besondere Tiefe oder größere Bewertung hab ich einfach mal ein paar Gedanken aufgeschrieben, die mit zu der Quelle gekommen sind. Da sind teilweise ganz banale Sachen dabei – also keine Angst, ihr dürft das ganz genauso 🙂

Was mir als erstes an diesem Bericht auffällt ist die Sprache. Die ist stets präzise und klar. Es wird ganz deutlich, dass hier kein Schriftsteller für ein breites Publikum geschrieben hat. Aber es war ja auch nicht für ein breites Publikum geschrieben. Es war ja ein Tatsachenbericht für die Untersuchung des Unglücks, den der Pilot Ernst Jagels hier für das Heer geschrieben hat.

Trotzdem fällt mir an der Sprache auch immer wieder auf, dass sie sich wie aus der Zeit gefallen anfühlt. Das ist ja auch wenig verwunderlich, die Quelle ist ja fast 130 Jahre alt.

Aber davon ganz abgesehen finde ich den Klang der Sprache interessant. Es klingt alles viel mehr nach einem Hobby-Abenteuer als nach einem professionellen Militär-Test. Es wirkt alles so rudimentär und einfach, was Jagels beschreibt. Vielleicht spiegelt sich da aber auch nur mein Weltverständnis wider und heute sähe ein Unfallbericht ähnlich aus.

Zum Inhalt des Textes: Ich finde es total interessant, wie gut man den Abläufen folgen kann, wenn man ihn liest, aber wie schwierig es ist, zuzuhören. Es ist offensichtlich nicht dafür gedacht, vorgelesen zu werden, sondern studiert zu werden. Das passt ja auch zu dem Verwendungszweck. Aber es ist halt ganz anders als der Reisebericht von Emil Sandt aus der letzten Ad Fontes-Folge.

Wenn man den Jagels-Text liest, dann kann man wirklich gut jeden einzelnen Vorgang nachvollziehen. Wie zuerst die Befüllung abläuft, dann der Start, dann die Fahrt und abschließend der Absturz.

Gerade was den Start angeht bin ich auch sehr über die Bildhaftigkeit begeistert. Diese Vorstellung, dass Mannschaften vorne und hinten das Luftschiff halten um es zunächst ein Stück vorzuziehen und dann dieses Beschleunigen in Richtung der vorderen Mannschaft. Ich fand das sehr eindrücklich.

Auffällig, gerade im Vergleich zur Quelle der letzten Folge, finde ich auch die ganzen Zahlen. Aber hier spiegelt sich auch wider, dass es dieses Mal ein Untersuchungsbericht ist, wo es eben auf solche Details ankommt, und beim letzten Mal ein Reisebericht war, bei dem die Stimmung viel wichtiger war.

Ich finde es darüber hinaus sehr interessant, dass Jagels die Probleme und die eigenen Fehler erwähnt, aber nicht explizit Schuld auf sich nimmt. Er erwähnt, dass er auf die Anbringung des unteren Propellers verzichtete (der ihm vielleicht beim Absturz eine weichere Landung hätte ermöglichen können) und dass die Riemen während der Fahr abfielen. Das zeigt in meinen Augen wieder die Professionalität des Unterfangens. Es wird problemlösungsorientiert und nicht schuldorientiert gearbeitet.

Darüber hinaus fällt mir noch auf, dass der ganze Bericht so ruhig geschrieben ist. Immerhin hat Ernst Jagels eine der ersten Luftfahrten mit einem lenkbaren Luftschiff überhaupt gemacht, und zumindest für ihn wird es meines Wissens nach auch die erste Luftfahrt überhaupt gewesen sein. Und dann endete es auch noch in einem Absturz. Ich hätte angenommen, dass das zu mehr Aufregung und Anspannung geführt hätte.

Aber zumindest am Tag an dem er den Bericht schrieb, also drei Tage später, ist Ernst Jagels sehr nüchtern und präzise in seinem Bericht. Nicht, dass es ihn direkt traumatisieren müsste, aber ich empfinde es doch als eben sehr ruhig. Hier kommt wahrscheinlich durch, dass er ein Militär war. Wobei ich natürlich auch nur das lesen kann, was er niedergeschrieben hat. Was ihm dabei durch den Kopf ging und ob ihn der Absturz nachts im Bett wach gehalten hat, das kann ich natürlich nicht beurteilen.

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