Hallo, kurz etwas zu diesem Format. Bei „Ad Fontes“ schaue ich mir eine historische Quelle direkt an, stelle sie kurz vor und präsentiere sie euch dann. Abschließend kommen ein paar spontane Gedanken von mir, aber der Fokus soll auf der Quelle liegen und darauf, dass ihr euch selbst Gedanken machen könnt.
In dieser Folge geht es um folgende Quelle:
Emil Sandt, Die Schweizfahrt des Grafen Zeppelin am 1 Juni 1908.
Entnommen: Hoernes, Hermann, Buch des Fluges, III. Bd., Wien 1912, S. 407-412.

Die Quelle
Die Schweizerfahrt des Grafen Zeppelin am ı. Juli 1908.Von Emil Sand.
Es war eine friedvolle Stunde. Alles still da draußen, Wie am frühesten Morgen eines Sommersonntages. Durch die Binsen, die das Ufer einsäumen, strich ein leiser Wind; die Wasserfläche war schwach gekräuselt; auf den Gehöften hing noch der Traum der Nacht. Hoch über uns spannte sich ein tiefer azurblauer Himmel. Und ab und zu glitt ein feines Beben durch die Natur, als wenn sie sich langsam zum Morgengebete bereite.
Wir glitten mit unserem Motorboote heran an die Halle. Ich habe das Luftschiff des Grafen Zeppelin schon oft gesehen, aber ich habe immer wieder das Gefühl eines mit Stolz gemischten Staunens; immer überrascht mich die Verbindung einer erdrückender Masse mit der Eleganz ihrer Erscheinung. Still und gefesselt schwebt das Rieseninstrument in seiner heimatlichen Halle. Geschäftig eilen Ingenieure, Monteure und Arbeiter hin und her. Hieer wird geprüft und noch ein letzter Griff getan und dort wird schnell Abschied genommen. In der Halle befinden sich außer uns Mitfahrenden noch Gräfin Helene, die liebenswürdige und tapfere Tochter ihres berühmten Vaters, der Neffe Sr. Exzellenz, Graf Ferdinand von Zeppelin mit seiner sympathischen Frau Solita und Baron Bassus, der langjährige, treue Begleiter und Mitarbeiter des genialen Erfinders.
Wir wurden nun vertäut. Mich bat Graf Zeppelin in den Passagiersalon zu gehen. In der vorderen Gondel, die das Gehirn des Giganten darstellt, nahm er selbst mit unserem berühmten Meteorologen, Geheimrat Hergesell, mit dem Oberingenieur Ludwig Dürr und den Bedienungsmannschaften für den Motor Aufenthalt, während in die hintere Gondel die Bedienungsmannschaften für den zweiten Motor beordert wurden. — Ich war der einzige Passagier. Das soll heißen: ich hatte die Gunst des Schicksals erfahren, auf diesem Riesenbau der einzige zu sein, der keine Aufgabe hatte und keine Verantwortung. Ich schaute mich um. Der Passagiersalon bietet vielleicht für ein Dutzend Personen Aufenthalt. Die Wände, der Fußboden, die Decke bestehen aus dem mildes Licht durchlassenden Ballontuche, das über ein symmetrisches Aluminiumgerüst gespannt ist. An den Längsseiten bietet der Raum bequeme Sitze, und vier an feinen, aber starken Ketten hängende Tischplatten vervollständigen eine Ausrüstung, die nach Form und Farbengebung anheimelnd genannt werden muß. Die Seitenwände sind ausgiebig durchbrochen und schenken durstigen Augen eine Aussicht auf den weiten Horizont und der gleichfalls durchbrochene und wie die Seiten mit Zelluloid ausgelegte Fußboden gestattet es, in bequemer Lage, geschützt gegen Wind und Sonne zwischen den Füßen hinunter auf die heimatliche Erde zu schauen, die sich bei schönem Wetter bald zu einem farbenfrohen Teppich ausbreitet.
Der Raum wurde heller. Durch die Seitenscheiben sah ich, wie das Luftschiff hinausgeschoben wurde; dicht unter meinen Füßen, konnte ich das Spiel der kleinen Fischchen beobachten, die von der Oberfläche des Bodensees erschreckt wieder in die Tiefe schossen, — dann hörte ich die beiden Kommandorufe: „Luftschiff voraus! — Luftschiff frei!“ — ein kräftiges dreifaches Hurra aus frohgemuten Kehlen — und das Wasser versank unter mir. Bald sah ich die heimatliche Riesenhalle wie ein Kinderspielzeug unten liegen; ich sah Menschen am Ufer stehen, wie feine bunte Flecke auf einem grünen Teppich. Drüben durchfuhr ein Passagierdampfer das smaragdfarbene Wasser. Durch das Glas erkannte ich ihn. Feine weiße Schaumlinien hinter sich ziehend, keuchte er von Konstanz nach Lindau. Höher und immer höher flogen wir; — und immer weiter wurde der Horizont.
Von Norden her hob sich aus dem schimmernden Hegau der Hohentwiel, der Schauplatz der Liebe zwischen Ekkehard und Hadwig, die in den schwersten menschlichen Sang ausklang: „Selig der Mann, der sich selbst bezwungen“ —; tief unten lag die liebliche Insel Mainau; von drüben her zog Konstanz und Stein am Rhein heran. Wir schwammen hoch vom Überlingersee dem Rheintale zu.
Ich ging durch den in den Kiel des Luftschiffes eingebauten, den Passagiersalon in der Längsrichtung mitten durchschneidenden langen Gang hindurch, um in die hintere Gondel zu steigen; oder vielmehr hinabzusteigen, denn sie liegt etwa anderthalb Meter tiefer als der Kiel und der Salonboden. Man öffnet eine Zelluloidtür, das heißt, man drückt sie, die halbrund ist, ein Viertel um Ihre Achse herum, tritt hindurch, schiebt sie ganz zu und ist dann draußen.
Der in die Gondel hinabführende Aluminiumsteg ist oben ½ m breit und verjüngt sich nach unten zu etwa 40 cm. Er ist gitterartig durchbrochen und zum Schutze gegen das Ausgleiten mit Querrippen versehen. Denn Aluminium fühlt sich fett an und ist glatt. Ein Geländer befindet sich an keiner Seite und die Aluminiumversteifungen vom Niveau des Steges an gleich seitlich zur Höhe heran an den über uns liegenden Riesenkörper. Ich trat den Weg an. Eine Sache, die von unten so waghalsig, vielleicht so unmöglich aussieht. Ich schloß nicht die Augen und sah auch nicht starr auf den Steg oder das Ziel, die Gondel. Ich kam im Gegenteil zu dem bewußten Genusse einer überaus herrlichen Aussicht. Mein Blick schweifte in der Fahrtrichtung rückwärts. Das schwäbische Meer glitzerte in Millionen und aber Millionen Funken herüber; halbrechts lagen die Thurgauer Alpen in dem violetten Schleier, den die hochsteigende Morgensonne aus Nebeln webt; und drüben in scharf geschnittener Pracht standen die Schneefelder und Gletscherschluchten des Säntis und des Hohen Kasten. Unter meinen Füßen lag Konstanz als Mittelpunkt; und auf den Fluren, die sich wie grüner Sammet ausbreiteten, Dörfer und Städtchen ohne Zahl; Chausseen und Eisenbahndämme durchzogen das Gewebe wie feine Linien. Und der Rhein glitt wie ein breites silbernes Band quer über das Feld.
Ich bin nicht schwachnervig. Und so könnte ich sagen, es liegt an mir, daß ich schwindelfrei blieb; aber auch die Beobachtung anderer hat ergeben, daß man dieses unheimliche Gefühl dort oben völlig verliert. Man sieht nicht nur eine weite Ferne, man sieht auch rechts und links vom Steg hinunter; senkrecht hinunter; der größte Kirchturm ist noch immer nicht größer, als ein kleiner Bleistift. Die Menschen werden zu Punkten — man sieht die D-Züge dahinjagen, ja — wie ich es zufällig erlebt habe — man sieht unter sich einen Storch seine Kreise ziehen und sieht, wie er, aus dem sicheren kreisenden Segeln in angstvolles Flattern übergehend, sich nach unten flüchtet; man sieht ihn hinunterstoßen zur Erde und immer kleiner und kleiner werdend, zuletzt wie sinnlos vor Schreck mitten in ein dichtes Gebüsch schießen. Und bleibt doch der ungewohnten Distanz ruhig und sicher. Vielleicht sechs, sieben Schritte in freier Luft, dann befand ich mich in der Gondel. Und genoß den Rundblick. Il capitano, Seine Exzellenz der Herr Graf Zeppelin, hatte volle Fahrt befohlen. Die Luftschrauben vollführten ein infernalisches Konzert. Wenn in der Passagiergondel wenig oder doch nur ein feines Vibrieren zu merken ist, zucken und zittern die Maschinengondeln von dem Arbeiten der Motoren so sehr, daß die Verbindungs- und Versteifungsrohre schwingende Linien erhalten. Und wenn man versucht sie festzuhalten, um ihre Dimensionen zu erkennen, dann wird die angestrengte Faust mit hin- und hergerissen. Die Luftschrauben, deren Flügel verhältnismäßig klein sind, werden in eine so rasende Umdrehung versetzt, daß sie wie eine flimmender Scheibe aussehen. Und wenn die Sonnenstrahlen auf sie fallen, meint man, man sähe einen Schleier von Rotguß, so fein, dass man durch ihn hindurch die leichten Sommerwölkchen am blauen Himmel ihre Bahn ziehen sieht. Der Klang, den sie von sich geben, gleicht dem tiefsten Ton der größten Orgel.
Wir zogen oder flogen das Rheintal hinunter. Dieses gläserne Wasser das bald zischende Gischt über eigensinnige Felsblöcke schleudert, bald in Kreuz- und Querwindungen durch grüne Fluren floß, bald auch zornig gegen einengende Kunstbauten schäumte, bot uns dann den wunderbaren Anblick seines Sturzes bei Schaffhausen. Er glitzerte herauf; sein Brillantstaub wurde wie ein Prisma zum farbenreichen Spiegel, und die Stellen, an denen die tosenden Gewässer zur Ruhe kamen, glühten wie eine smaragdene Platte. Graf Zeppelin drückte den Giganten bis auf 80 m hinunter über den Fall. Er wollte wissen, wie der vom Wasserfall aufsteigende Luftwirbel auf das Fahrzeug wirken würde. So genossen wir den Blick auf den Rheinfall von einer Stelle aus, die noch nie ein Mensch vor uns eingenommen hatte, die höher war als die sonst zugänglichen Beobachtungspunktee und doch tief genug, um alle Einzelheiten zu erkennen. Aus dem Schatten kam der Rhein heraus; sprudelnd und spielend, bis er sich vor dem Falle staute, Dann stürzte er sich, seine natürlichen Widersacher verhöhnend, in den kochenden Schaum, Das berühmte Schaffhausen hob sich wie ein zum Schmucke der Gegend besonders modelliertes Bild plastisch heraus.
Man kann sich nur schwer dagegen wehren, daß in uns ein Großmachtkitzel ausgelöst wird. Ob hoch oder niedrig, Nord oder Süd, Ost oder West, wir sind, wo wir sein wollen. Dieses Riesengeschöpf, das uns trägt, ist gehorsam, Und das erkennen die da unten. Da war jeder Platz auf den Dächern besetzt und die Straßen wurden bald bunt von den erstaunt, verwirrt und froh hin- und hereilenden Menschen; wir sahen, wie Fahrräder aus den Türen und Automobile aus den Schuppen geschoben wurden und wie man sich daran machte, uns in hitzigem Interesse zu folgen, in fiebernder Aufregung zu verfolgen. Es war etwas Schmerzlich-Herzliches, das man dabei empfand. Diese Kinder ihrer Zeit die die neue Zeit ahnten, aber noch nicht begriffen, die glaubten, dem stolzen Geschöpft dort oben nacheilen, das keinen Zwang kennt, als den, der von seinem Herrn kommt, kein Hindernis, keinen Wald, keinen steilen Weg, keinen Fluß, während sie mit ihren Verkehrsmitteln noch an der Mutter Erde und ihren Wegen, Pfaden, Straßen und Brücken klebten, — Bald ließen wir sie alle hinter uns. Der eine mußte Halt machen, weil kein Weg über die Fluren, der andere, weil kein Steg über einen Fluß führte; aber sie alle, atemlos von der Anstrenung und am Rande ihrer Kräfte, ließen noch einen jauchzenden Ruf heraufschallen und schwenkten grüßend zum Abschiede den Hut. — Von Schaffhausen ging es hinunter nach Süden. Über Andelfingen, Durlach, ins romantische Tal der Reuß. Gegen Mittag sichteten wir Luzern. Der Vierwaldstättersee glühte wie ein beschatteter Edelstein herüber, auf dessen einzelnen Facetten noch Sonnenstrahlen tanzten. Und als wir hoch in der Luft dahinziehend, an Luzern herankamen, an diesem berückenden Mischling von Romantik und Kultur, von Natur und Zivilisation, hob sich im Süden der Rigi, im Westen der scharfzackige Pilatus heraus, der grau, stolz und kalt seine Messerschneiden dem Himmel zukehrt; und die Azurglocke, die über uns ausgespannt ist, breitet über die melancholischen grünen Tiefen des Vierwaldstättersees eine Decke von Heliotrop.
Das tiefe Heulen der Luftschraube hatte und schon von weitem angekündigt. Und so sahen wir auch hier wieder eine in Wirrnis, in Freude und Neugier heftig pulsierende Menschheit, die eben so eifrig war, zu sehen und gesehen zu werden, als zu grüßen und gegrüßt zu werden. Was von besonderem Werte erscheint, wenn es auch für den großen Erfinder ohne jeden Ausschlag bei der Auswahl seiner Flugroute gewesen ist, das war: Er fuhr eine glänzende Parade vor der internationalen Welt… Es war ein Staunen, ein Atemholen und dann ein jubelndes Grüßen. Politisch sind das da unten keine Deutschen. Die überwiegende Zahl auch nicht einmal Schweizer. Das größte Kontingent stellt das Ausland. Europa ist ebenso beteiligt, wie die anderen Erdteile. Und ich habe gesehen, dass in wirklich großen Momenten die Nationalität ebenso ausgewischt wird, wie die Rassen. Es gibt nur noch Menschen; es gibt nur noch die Kultur. Denn zuletzt ist sich nach allem, was vom Grafen Zeppelin bekannt wurde und was über ihn geschrieben wurde, niemand im unklaren, daß er nur Deutscher, daß er ein Urdeutscher ist, — aber diese Segnung die er bringt, die ist so groß, daß sie allen nationalen Partikularismus bei den anderen vergessen läßt. Und dieser Moment und dieser Augenblick, den heute der wolkenlose Himmel geboten hat, der wird eilends in die weite Ferne hinausgetragen. Wie von allen Stationen beifallsfrohe Hände die Kunde nach Friedrichshafen trugen, wo man stets genau wußte, wo wir waren, ebenso war auch das gesamte Ausland fortlaufend über jede einzelne Phase der glänzend verlaufenen Fahrt unterrichtet. Der Stadtrat von Luzern würdigte den großen Augenblick, der der Stadt widerfahren war, durch ein Huldigungstelegramm, das er gleich nach Beendigung des Fluges an den Grafen nach Friedrichshafen richtete. Man konnte ohne Mühe von unten erkennen, wie rastlos dieser das schwierige Problem der Lenkbarkeit gelöst hatte. Man konnte jede Umstellung der Steuer bemerken und man konnte sofort sehen, daß das Rieseninstrument dem leisesten Drucke gehorchte.
Und später, als es für den Grafen, wenn auch nicht sicherer — denn sicher war es für ihn immer — so doch bequemer gewesen wäre, die von Schwierigkeiten strotzende Strecke zwischen dem Zuger und dem Züricher See in freier Höhe zu überfliegen, was tat er da? — Er zwang den Koloß, sich durch einen Gebirgssattel hindurchzudrängen und sich durch die wie in einer Schleuse zusammengepreßte Luft hindurchzuarbeiten. Die Schrauben pfiffen erst, dann heulten sie; zuletzt erklang es in den Ohren wie eine infernalische Musik und das Trommelfell zitterte unter dem tiefen, dröhnenden Singen. Wenn man hinuntersah auf den Schatten, der da unten das scharfumrissene Abbild des Luftschiffes auf die Erde zeichnete, wurde einem klar, welche Aufgabe Graf Zeppelin seinem Instrumente auferlegt hatte. Trotz Hergabe aller Kräfte konnte der Gigant nur sehr, sehr langsam den Luftstrom überwinden; aber so oft das Schiff auch zur Seite ausweichen Wollte, nach rechts oder links und nach oben, — der Graf zwang es immer wieder in die Linie, auf der es sich vorwärts kämpfen sollte. — Und es beugte sich. Der Wille seines Schöpfers war stärker. An dem Schatten unten erkannten wir die Anstrengung seines Ringens. Es dauerte Minuten, ehe sich die Schattenspitze von einem Baum zu dem anderen gequält hatte, und einmal — bei einem Gegenwind von fast 60 km — fürchte wir beinahe stillzustehen, bis wir nach langem und interessanten Beobachten — ich möchte fast sagen „Lauern“ — uns blitzenden Auges zunicken konnten: ,,Wir sind doch stärker!“ Zoll um Zoll eroberten wir uns die Chaussee. Und als wir die verengteste Stelle hinter uns hatten, als der Luftstrom uns in einer breiteren Bahn entgegenzog, da glitten wir bald schneller durch die Luft, und mit steigender Geschwindigkeit schoß unser Schatten wie ein Riesenvogel bald wieder über Täler und Hügel, über Schluchten und Auen.
Und überall unter uns wieder dieselbe wilde, freudige, oft ratlose Begrüßung. Wir sahen Zürich, diesen farbensprühenden Kranz am tiefblauen Zürichersee. Wir sahen eine Unzahl heller Edelsteine, die die Natur an diesem, von Sonnenlicht durchfluteten Tage auf ihrem Wunderteppich unter uns ausgestreut hatte. Wir flogen hinüber nach Winterthur und Frauenfeld und durchmusterten entzückt den Schmuckkasten einer schenkfrohen Natur. Abends in der siebenten Stunde sahen wir am Horizont wieder das Glitzern des schwäbischen Meeres. Über den Thurgauer Alpen dahinziehend, beschattet von den Schneefeldern des hohen Säntis, unter uns unseres Herrgotts Märchenpracht, die immer wieder mit erstaunten Augen zu uns heraufblinzelte, zogen wir endlich über das reizende Bregenz und Lindau, dem heimatlichen Manzell zu.
Und wir waren voller Kraft gewesen. Es hatte eine Episode gegeben, die einen Triumph bedeutete, größer als der Sieg über einen widrigen Wind. Denn dieser ist zuletzt relativ. Der stärkste Orkan wird immer stärker als der stärkste Bau von Menschenhand. Aber hier: nördlich von der Fluglinie, in die der Graf Zeppelin sein Luftschiff zwang, rollte da unten ein Eisenbahnzug. Er war in voller Fahrt. Für eine ganze Reihe von Minuten blieben wir sein Partner in der gleichen Richtung. Und wir hielten mit ihm gleichen Schritt. Das klingende Herumrasen der Schraubenflügel übertönte das Zischen und Keuchen unten. Zuletzt mußten wir uns trennen. Nicht etwa weil unsere Ziele schon auseinanderlagen. Es lag an ihm. Er kroch in die Erde; das heißt, er verschwand in einer kleinen, finsteren, schwarzen Öffnung — sie nennen es da unten Tunnel — und wir? — wir zogen in der schönen, freien Herrgottsluft weiter unseres Weges, die weiche Luft als Pfühl, zu Kameraden schimmender Sommerwolken.
Als wir endlich nach fast dreizehnstündiger Fahrt heimkamen, empfingen uns Böllerschüsse, und der Heimatsstrand prangte im Flaggenschmucke. Es war zu einer Stunde, in der die Sonne Abschied nimmt. Im Frühlichtschein waren wir gen Westen aufgestiegen, jetzt stiegen wir von Osten kommend wieder zu Tal und während hinter uns die Nacht ihr Traumnetz wob, größten wir noch einmal das in einem Meer von streifigem Dunst versinkende Tagesgestirn.
Meine spontanen Gedanken zur Quelle
So. Ohne besondere Tiefe oder größere Bewertung hab ich einfach mal ein paar Gedanken aufgeschrieben, die mit zu der Quelle gekommen sind. Da sind teilweise ganz banale Sachen dabei – also keine Angst, ihr dürft das ganz genauso 🙂
Ganz am Anfang spricht Sandt davon, dass er der einzige sei, der keine Aufgabe habe → aber natürlich hat er eine Aufgabe: Er soll ja eben den Bericht schreiben, den wir gerade lesen. Das ist natürlich ein handwerklicher Trick, damit man sich leichter mit ihm identifizieren kann und sich selbst vorstellen kann, im Luftschiff zu sein.
Thema „Großmachtkitzel“ wirkt aus heutiger Perspektive komisch, vor allem, da es ja um nichts staatliches geht. Zu diesem Zeitpunkt ist Graf Zeppelin ja nicht im Staatsauftrag unterwegs.
Formulierung „Fahrräder aus den Türen und Automobile aus den Schuppen geschoben wurden“ ist auffällig. Offensichtlich standen Fahrräder und Autos zu dieser Zeit nicht einfach auf den Straßen herum, sondern zumindest genug standen in Garagen oder Hausfluren, dass das die erste Assoziation war.
Das Hereinbringen, dass Graf Zeppelin „Deutscher“ und sogar „Urdeutscher“ ist, wirkt aus heutiger Sicht komisch, aber da zeigt sich der Nationalismus dieser Zeit.
Ebenso aus der Zeit gefallen scheinen die Anmerkung, dass nicht nur Nationalitäten, sondern auch Rassen in diesem Moment ausgewischt erscheinen.
Interessant finde ich auch die Einflechtung der eigentlichen großen Leistung von Graf Zeppelin: Zeppelin hatte es geschafft, das Luftschiff lenkbar zu machen. Eingebracht wird dies im Rahmen eines „Huldigungstelegramms“, das die Stadt Luzern schickt. Also wird die Information den Lesern nicht auf die Nase gedrückt, aber sie wird explizit erwähnt und dabei die Bewertung (also im Sinne von „das ist etwas, was es zu huldigen gilt“) wird vorweggenommen.
Ich finde es nicht so überraschend, dass erwähnt wird, dass das Luftschiff sicher ist. Das habe ich bei so einem Bericht irgendwie erwartet. Aber die Art wie das gemacht wird finde ich interessant: es wird nämlich verknüpft damit, dass Graf Zeppelin fortschrittlich denkt und das Luftschiff testen möchte: Durch einen Gebirgssattel und die zusammengepresste Luft soll das Luftschiff hindurchfahren.
Die Sprache die benutzt wird um Graf Zeppelin darzustellen ist martialisch und poetisch. Zeppelin ist „Il Capitano“, der „den Koloss zwingt“ und an anderer Stelle wird sein starker Wille betont. Außerdem verzichtet Sandt nicht ein einziges Mal darauf ihn als „Graf“ anzusprechen. Es ist nie nur „Zeppelin“, sondern immer „Graf Zeppelin“. Manchmal sogar „seine Exzellenz“.
Ansonsten ist die Sprache so blumig und poetisch. Es ist beinahe kitschig, wie der Aufstieg über dem Boden, das Interesse der Leute am Boden oder der gleichschnell fahrende Zug beschrieben wird.